Braunschweig-Rüningen | 10.07.2022 | In der Nacht auf Sonntag fand in einem Gartenhaus in Rüningen eine Feier mit dem Neonazi-Liedermacher »Gassenraudi« aus Braunschweig statt. Als die Polizei wegen Ruhestörung gerufen wurde, kam es zu rassistischen Beleidigungen und einer Todesdrohung gegen einen der Polizeibeamten. Der 32-jährige Pächter des Gartens, bis vor kurzem Trainer beim TSV Rüningen, verhielt sich laut Polizei „aggressiv“. Eine kleine Reportage zu den Hintergründen:
Am Montag meldete die Polizei, dass sie am Wochenende zu einer Ruhestörung in eine Gartenparzelle in Rüningen gerufen wurde. Dort seien den Polizist*innen „rund 20 Personen aggressiv entgegen“ getreten. Der 32-jährige Pächter des Gartens, so heißt es in der Polizeimeldung, verhielt sich den Polizeibeamt*innen gegenüber „äußerst unkooperativ und aggressiv und weigerte sich, den polizeilichen Aufforderungen Folge zu leisten.“ Die Stimmung sei eskaliert. Ein Polizist sein „von dem 32-jährigen Pächter fremdenfeindlich beleidigt und mit dem Tode bedroht“ worden. Die Gäste seien zudem aus dem Gartenhaus herausgetreten und hätten sich vor den Polizeibeamt*innen bedrohlich aufgebaut. Erst als weitere Polizeikräfte sowie Polizeidiensthunde vor Ort eintrafen, konnte die Feier aufgelöst werden, teilte die Polizei Braunschweig mit. Gegen den Pächter wurde ein Strafverfahren wegen Bedrohung und Beleidigung eingeleitet, alle weiteren Personen erhielten Platzverweise.
Liederabend mit »Gassenraudi«
Als ich die Pressemeldung lese, frage ich mich natürlich sofort, was das wohl für eine Feier war. Ich schaue schnell mal in die üblichen Chats, Netzseiten und Social Media-Kanälen der rechten Szene. Es braucht nicht lange, da werde ich fündig: Auf dem Telegram-Kanal der Neonazi-Band »Gassenraudi« aus Braunschweig wurden in der besagten Nacht gegen 0:17 drei Fotos gepostet. Offensichtlich etwa eine Stunde vor dem Polizeieinsatz, der in der Pressemeldung mit 1:40 Uhr angegeben ist. Eines der Fotos zeigt einen Mann mit Gitarre und Mikrofon. Trotz unkenntlich gemachten Gesicht ist er gut als Sören Högel zu identifizieren. Högel tritt als »Gassenraudi« teils mit Band, teils nur Solo mit Gitarre und Gesang auf. Eine CD der Band wurde gerade von der Prüfstelle der Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz als „jugendgefährdend“ indiziert und unterliegt damit einem Werbe- und offenem Verkaufsverbot. Sören Högel war einer der Köpfe der Neonazi-Kameradschaft »Burschenschaft Thormania«, die offiziell als aufgelöst gilt. Er wird außerdem der »Arischen Bruderschaft« um den Neonazi-Kader Thorsten Heise zugerechnet. Ein Foto aus dem Telegram-Kanal von »Gassenraudi« zeigt ihn vor einem Banner mit dem Logo der Bruderschaft, zwei gekreuzten Handgranaten. Das Logo sieht dem Symbol der 36. Waffen-Grenadier-Division der SS zum Verwechseln ähnlich, die verantwortlich für Massaker an der polnischen Zivilgesellschaft war. Auf einem weiteren Foto von der Feier in der Nacht auf Sonntag ist noch ein weiterer Musiker mit Gitarre zu erkennen. Offensichtlich war die Feier in Rüningen ein Liederabend der rechten Szene.
Hintergrund zur »Arischen Bruderschaft«:
„Wer steckt hinter der Arischen Bruderschaft“ – Ein Bericht des MDR Thüringen
Hitlergrüße im Gartenhaus
Das dritte Bild wird nicht angezeigt. Aus „Sicherheitsgründen“ habe man es wieder gelöscht, ist dort zu lesen. Kurze Zeit später wird mir das fehlende Foto anonym zugesendet, offensichtlich hat es jemand rechtzeitig gespeichert. Zu sehen sind dort an die 20 Personen, die für ein Gruppenbild posieren. Man erkennt eine Theke und an der Wand hängt ein Schal des TSV Rüningen. Es sieht nach einem Partyraum aus. Zwei der Personen hinten auf dem Bild scheinen mir einen Hitlergruß zu zeigen.
Die Gesichter wurden auch auf diesem Foto unkenntlich gemacht. Einige Personen kann ich allerdings trotzdem identifizieren. Sie gehören teils zur Band »Gassenraudi« und ihrem Umfeld, darunter auch ehemalige oder aktuelle Spieler des TSV Rüningen. Ein bisschen im Kanal von »Gassenraudi« weitergescrollt und ich finde weitere Fotos, die offensichtlich auch in diesem Partyraum aufgenommen wurden. Sie zeigen vorherige Liederabende und Feiern mit »Gassenraudi«.
Auf einem Foto trägt eine Person ein Shirt, auf dem auf den ersten Blick eine Hakenkreuzfahne zu sehen ist. Betrachtet man es genauer, dann ist dort nur ein rennendes Strichmännchen zu sehen, dass allerdings wie ein Hakenkreuz gestaltet ist. Auf einem anderen Bild aus dem Gartenhaus ist eine Fahne in den Reichsfarben schwarz-weiß-rot zu sehen, auf der in Frakturschrift „Nationaler Widerstand“ steht. Offensichtlich dient das als Partyraum ausgebaute Gartenhaus, in dem am Wochenende die Feier stattfand, als regelmäßiger Ort für Liederabende, Treffen und Feiern der Neonazis.
Gartenhaus des Fußballtrainers
Um mehr herauszubekommen, fahre ich nach Rüningen. Schnell mache ich dort eine Gartenparzelle mit Hütte aus, die zu den Fotos aus dem Inneren passt. Sie liegt direkt an der Hauptstrasse. Im Garten weht eine Fahne des TSV Rüningen. Rundherum ein hoher Holzzaun. Die Fenster sind alle abgedunkelt. Es wirkt so, als ob hier niemand Einblick nehmen soll. Ich frage Nachbar*innen ob sie etwas mitbekommen haben oder wissen, wem der Garten gehört. Schnell erfahre ich, dass der Garten einem Mann gehören soll, der im Ort die Fußballmannschaft trainiert. Bei dem 32-jährige Pächter des Gartens, gegen den die Polizei ermittelt, handelt es sich demnach um Dominik K. Der ist für mich kein Unbekannter, sondern mir bereits aus Recherchen über der rechten Fußballfanszene bekannt.
Ein Blick ins Redaktionsarchiv bestätigt: Dominik K. bewegt sich seit langen in rechten Hoolkreisen und hat Kontakte in die Neonazi-Szene. Fotos aus dem Archiv zeigen ihn im Kreise der »Fetten Schweine« und »Kategorie Braunschweig«. Beides Gruppierungen im Dunstkreis von Eintracht Braunschweig die immer wieder durch Randale und rechte Vorfälle auffielen. Bezeichnend für die rechte Gesinnung von »Kategorie Braunschweig« war deren Schlachtruf „Adolf Hitler, Rudolf Hess, Kategorie Braunschweig KBS“. Weitere Fotos zeigen Dominik K. am Banner der »Ruingi-Front« einem Fanclub des TSV Rüningen. Ich erinnere mich, dass vor einigen Jahren in Rüningen Hakenkreuz-Schmierereien auftauchten und dazu der Schriftzug »Ruingi-Front« gesprüht wurde.
Dominik K. selbst macht aus seiner rechten Gesinnung keinen Hehl. Auf einem seiner Social Media-Profile nannte er vor einigen Jahren „Mein Kampf“ als sein Lieblingsbuch und gab an: „Politische Richtung: rechts Interessen: Boxen,Saufen ;randale“. Auch aktuell finden sich auf seinen Social Media Accounts Bezüge zu rechten Ideologien. Dort nennt er beispielsweise Angela Merkel, Söder und Spahn „Volksverräter“ und teilt Posts der AfD. Im Netz kursierte kürzlich ein Video, dass Dominik K. im Shirt der „Fetten Schweine“ nach einem Spiel von Eintracht Braunschweig zeigt, bei der er im Streit um ein Mannschaft-Trikot einen anderen Eintracht-Fan mit dem Ellenbogen ins Gesicht schlägt.
Ich höre mich weiter in um und erfahre aus Kreisen des TSV Rüningen, dass sein Vertrag als Fußballtrainer aufgelöst worden sei, unter anderem auch als Konsequenz auf rechte Vorfällen an denen Trainer, weitere Spieler und Fans des Vereins in der Vergangenheit beteiligt waren. Eine offizielle Stellungnahme will der Verein dazu aber nicht abgeben.
Schlagzeuger und Torwart
In der von Dominik K. trainierten Mannschaft spielte bis vor kurzem in der Abwehr auch Lars B., der Schlagzeuger von »Gassenraudi«. Er soll den Verein inzwischen verlassen haben und jetzt für einen Stöckheimer Fußballclub spielen. Lars B. fiel bereits als Schüler im Heidberg durch rechte Aktivitäten auf und bewegte sich im Dunstkreis der Nazikameradschaft Burschenschaft Thormania«. Mit deren Aktivisten nahm er zum Beispiel am 1. Mai 2009 an einer Spontandemonstration in Friedland teil, nachdem ein eigentlich geplanter Aufmarsch von Neonazis in Hannover verboten worden war. 2013 trat er als Teil der neugründete Ortsgruppe Braunschweig der »Identitären Bewegung« in Erscheinung. Er war damals auf zahlreichen Werbefotos und -videos dieser extrem rechten Jugendgruppierung zu erkennen, ist aber heute nicht mehr für die Gruppierung aktiv. Im bürgerlichen Leben arbeitet als Systemadministrator für eine bekannte IT Großhandelsfirma in Braunschweig. Wer ihn in der Firmenbroschüre im adretten grauen Hemd sieht, würde wohl kaum vermuten, dass er in seiner Freizeit für eine einschlägige Neonazi-Band trommelt.
Der (Ex-)Trainer und der Schlagzeuger sind allerdings nicht die einzigen (teils ehemaligen) Spieler aus Rüningen, die Bezüge zu rechten Szene aufweisen. Auf dem Foto von der Feier ist ein weiterer Spieler aus dem TSV Rüningen zu erkennen, der in der Vergangenheit an mindestens einem Neonazi-Aufmarsch teilnahm. Auch zu weiteren Personen aus dem TSV Rüningen liegen entsprechende Informationen vor. Aus dem TSV Rüningen ist dazu zu hören, dass man sich von den meisten inzwischen getrennt habe.
Auseinandersetzung bei Fußballspiel in Lamme
Bereits im November letzten Jahres berichtete bei Twitter über einen Vorfall, bei dem Spieler und Fans des TSV Rüningen mit rechten Parolen und Randale auffielen. Am 7. November 2021 spielte in Lamme der SC Göttingen gegen den TSV Germania. Über den Telegramm-Kanal von »Gassenraudi« wurde währenddessen ein Foto vom Spiel gepostet und dazu geschrieben „Wer auf’n Sonntag noch etwas Spaß haben möchte die Göttinger ‚Antifa‘ ist aktuell in Lamme (Stadtteil von Braunschweig) zu Gast“ – Mit der Göttinger „Antifa“ waren offensichtlich die mitgereisten Fans des SC Göttingen gemeint. Weiterverbreitet wurde diese Meldung ebenfalls über Telegram vom Kreisverband Braunschweig-Hildesheim der Neonazi-Partei »Die Rechte«. Die Polizei sprach später in einer Pressemitteilung davon, dass sie dort ein „Aufeinandertreffen zweier Fangruppierungen durch ein schnelles Eingreifen“ verhindert habe. Augenzeug*innen berichteten mir von rechten Parolen und Beschimpfungen durch Spieler und Fans des TSV Rüningen, dessen 1. Herren-Mannschaft zuvor ein Spiel in Lamme absolviert hatten.
Während es vom TSV Rüningen damals keine öffentliche Stellungnahme zu dem Vorfall gab, erklärte der TSV Germania Lamme:
„Nach Abpfiff des Landesligaspiels unserer 1. Herren gegen den 1. SC Göttingen 05 kam es auf dem Parkplatz und der Zufahrt unserer Sportanlage zu einer politisch motivierten Auseinandersetzung zwischen Gästefans aus der linksautonomen Szene und gezielt angereisten Mitgliedern einer rechtsextremen Gruppierung aus Braunschweig. Aufgrund der sich abzeichnenden, unübersichtlichen Stimmungslage – verschärft unter anderem durch Provokationen der Gästemannschaft unserer 2. Herren, die vorab eine Kreisligapartie in Lamme absolvierte – informierten wir als Heimverein die Polizei, welche mit einem größeren Aufgebot eine weitere Eskalation der Lage verhindern konnte. Der Vorfall steht in keinerlei Zusammenhang zum vorangegangenen Spiel oder dem TSV Germania Lamme e.V. Im Einklang mit der lokalen Berichterstattung der vergangenen Tage wollen wir hiermit noch einmal betonen, dass keine Fans oder sonstige Personen aus dem Umfeld unseres Vereins an der Aktion beteiligt waren. Der TSV Germania Lamme e.V. steht für multikulturellen Austausch, Vielfalt und Gleichberechtigung. Wir setzen uns stets für einen friedlichen und respektvollen Umgang auf und neben dem Platz ein. Daher verurteilen wir die Vorfälle und distanzieren uns ausdrücklich von jeglichem links- und rechtsextremistischen Gedankengut.“
Hilfe bei rechten Vorfällen
Auch wenn der TSV Rüningen bisher nicht öffentlich zu den Vorfällen und der Problematik mit den Verbindungen vom (Ex-)Trainer, mehreren (inzwischen möglicherweise ehemaligen) Spielern und Fans in die Neonazi-Szene Stellung bezogen hat, scheint man im Verein das Problem durchaus Ernst genommen zu haben und hat oder will sich von den entsprechenden Personen trennen.
Für mich bleibt aber die Frage spannend, wie eine solche Clique von Neonazis und rechtsorientierten Personen in und um einen Verein entstehen konnte, der sich seit Jahren sehr um die Integration geflüchteter Menschen engagiert. Auf der Homepage des TSV lese ich, dass er dafür 2017 vom niedersächsischen Fußballverband sogar geehrt wurde und viele Geflüchtete in den Mannschaften mitspielen. Wie so oft, wurde auch hier vermutlich nicht genau hingesehen, Vorfälle nicht ernst genug genommen und aus Angst vor einem negativen Bild in der Öffentlichkeit versucht, alles möglichst intern zu halten. Nicht selten führt genau dieses Muster, dass ich auch von anderen Vereinen kenne, dazu, dass sich das Problem immer weiter verschärft. Am Ende führen dann solche Ereignisse, wie beim Spiel in Lamme oder die Feier im Gartenhaus dazu, dass am Ende genau die negativen Schlagzeilen entstehen, die man eigentlich nicht haben wollte. Ein offener Umgang mit der Problematik rechter Vereinsmitglieder oder Fans, wäre da oft zielführender. Dass Vereine hier oft überfordert sind, sowohl im Umgang als auch mit der Einschätzung der Größe der Problematik und der Verstrickung entsprechender Personen in die rechte Szene ist verständlich. Genau deshalb ist es wichtig, sich frühzeitig Rat und Unterstützung zu holen. Hier ist zum Beispiel die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus eine gute Ansprechpartnerin.
Kontakt zur Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus:
Regionalbüro Süd in Hildesheim * sued@mbt-niedersachsen.de * Telefon: 0152 03431429 www.mbt-niedersachsen.de
UPDATE, 19.07.2022 – Stellungnahme des TSV Rüningen
Der Verein hat jetzt eine Stellungnahme abgegeben.