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Einstellung: Kein Prozess gegen Neonazi nach Ketchup- und Säure-Attacken

Ermittlungsverfahren wegen Mordrohungen ebenfalls eingestellt

Mordrohung, Ketchup und Aufkleber an der Tür des Mehrfamilienhauses, in dem ich mit meiner Familie wohne.

Braunschweig | Das Amtsgericht Braunschweig hat das Verfahren gegen den Neonazi Pierre B. wegen der Ketchup und Säure-Attacken auf meine Hauseingangstür eingestellt. Alle Ermittlungsverfahren wegen den gegen mich gerichteten Morddrohungen wurden zuvor bereits eingestellt.

Am 17.10.2019 wurde der Eingang des Mehrfamilienhauses in dem ich mit meiner Familie wohnte mit Ketchup beschmiert und eine ätzend riechende Flüssigkeit, vermutlich Essigessenz oder -säure, in den Briefkasten geschüttet. Beim Öffnen des Briefkastens erlitt ich Atemwegsreizungen durch die Säure.

In den Tagen zuvor waren regelmäßig extrem rechte Aufkleber, unter anderem der Neonazi-Gruppe „Kampf- und Sportgemeinschaft Adrenalin Braunschweig“ an die Tür, das Haus und die Umgebung geklebt worden. Einen Tag später, am 18.10.2019, wurde die Haustür erneut mit Ketchup bespritzt.

Laut Anklage der Staatsanwaltschaft Braunschweig vom 30.12.2019 soll am 18.10.2019 der Neonazi und Kampfsportler Pierre B. von einer kurz zuvor installierten Überwachungskamera der Polizei dabei gefilmt worden sein, wie er das Ketchup an die Tür schüttete. Die Staatsanwaltschaft klagte ihn daraufhin in 5 Fällen wegen Sachbeschädigung, in 3 Fällen wegen versuchter Sachbeschädigung und wegen Körperverletzung an und ging von einem besonderem öffentlichen Interesse an der Strafverfolgung aus.

Das Amtsgericht Braunschweig hat das Verfahren gegen Pierre B. jetzt allerdings nach §153 StPO gegen eine Geldauflage von 240,00 € eingestellt. Die Anregung meines Anwaltes, RA Rasmus Kahlen aus Göttingen, ihm zumindest aufzuerlegen die Geldstrafe an den Geschädigten zu zahlen, wurde vom Gericht nicht aufgegriffen. Die Ermittlungsverfahren wegen den Morddrohungen im Video und an der Tür waren bereits 2019 eingestellt worden.

Bereits im Juni 2019, kurz nach dem Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, hatte ein Neonazi von „Adrenalin Braunschweig“ mir in einem Video gedroht: „Gestern Walter, heute Janzen“. Wenig später wurde „Wir töten dich! Janzen“ an die Haustür geschrieben und Aufkleber von „Adrenalin Braunschweig“, die einen stilisierten Schlagring zeigten, an der Tür hinterlassen. In diesen beiden Fällen wurden die Ermittlungsverfahren ebenfalls eingestellt.

Die bittere Erkenntnis nach monatelangen Bedrohungen und Aktionen der Neonazis gegen mich und meine Familie ist, dass die Täter ohne wirkliche Konsequenzen davonkommen. Ob Morddrohungen im Netz oder an der Haustür, die Ketchup- und Säureattacke, das Aufstellen von Kerzen und Grabkerzen mit meinem Porträt, Drohschreiben mit einem gezeichneten Galgenstrick oder die dutzenden Nazi-Aufkleber am Haus, fast alle Ermittlungsverfahren wurden eingestellt. Mal, weil die Polizei keine Täter ermittelt konnte, mal wurde von einer Anklage abgesehen, weil Täter bereits anderweitig verurteilt wurden. Und selbst in diesem Fall, wo die Polizei einen Verdächtigen sogar bei einer seiner Taten gefilmt hat, wird das Verfahren gegen eine lächerliche Geldauflage eingestellt. Das ist ein Versagen der Justiz und ein fatales Signal an die Neonazi-Szene.

Ich hatte das Gefühl, dass erst der öffentliche Druck dazu geführt hat, dass die Polizei die Bedrohungen der Neonazis gegen mich überhaupt ernst genommen hat. Immer wieder wurde mir gegenüber geäußert, das Verkleben der Aufkleber an unsere Haustür sei ja keine Straftat. Selbst als mir ein vergammelter Schweinekopf zugeschickt wurde, musste ich mit einem Beamten am Telefon darüber streiten, was das den für eine Straftat sei. Gleich nach den Ketchup-Attacken äußerte ein Polizeisprecher in der Lokalpresse, dass hier ja gar keine Sachbeschädigung vorläge, da die Tür von den Ketchup-Resten gereinigt werden konnte. Als die Wohnung des Verdächtigen durchsucht wurde, höhnte dieser dann auch selbstsicher, dass die ihm vorgeworfenen Taten ja gar nicht strafbar seien.

Verwundert bin ich auch, dass die Polizei zunächst die Wohnung des Neonazis aufsuchte um sie zu durchsuchen, dann aber einfach unverrichteter Dinge wieder wegging, weil niemand öffnete. Dabei war der Neonazi da sogar zu Hause und hatte mitbekommen, dass die Polizei vor der Tür stand. Erst einen Tag später wurde die Wohnung dann durchsucht. Auch die am Tatort gesicherten Spuren des Ketchups und der in den Briefkasten geschütteten Flüssigkeit konnten nicht analysiert und mit der beim Verdächtigten sichergestellten Ketchupsorte verglichen werden, da die Kriminaltechnik nur ein minimale Menge mit Wattestäbchen abgerieben hatte. Ein unübliches Vorgehen, wie das LKA bemängelte.

Auch nach den beiden Ketchup-Attacken auf die Haustür stand ich weiter im Fokus rechter Bedrohungen: Immer wieder wurden Aufkleber an das Haus verklebt, im März 2020 wurden Kreuze und Grabkerzen mit einem Porträtfoto von mir vor die Tür gestellt, im Juni 2020 wurde mir ein vergammelter Schweinekopf zugeschickt, im Oktober wurde ein Zettel mit einem Galgenstrick in den Briefkasten geworfen. Ende Mai 2020 konnte ich dann mit Hilfe meines Anwalts Nils Spörkel aus Göttingen zumindest ein gerichtliches Annäherungsverbot nach dem Gewaltschutzgesetz gegen Pierre B. erwirken, der sich mir und unserem Haus für sechs Monate nicht mehr nähern durfte. Seitdem gab es nur noch vereinzelte rechte Aktionen am Wohnhaus.

Am 2.12.2021 findet vor dem Amtsgericht Braunschweig nun noch ein Prozess gegen Florian G. wegen Körperverletzung statt. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor mir den Schweinekopf zugeschickt zu haben. Florian G. ist 2015 in die „Jungen Alternative“, dem Jugendverband der AfD eingetreten und war u.a. mehrmals Teilnehmer an Veranstaltungen der AfD Braunschweig und an Versammlungen des Braunschweiger PEGIDA-Ablegers BRAGIDA. Nach eigenen Angaben war er eine Zeit lang Betreiber der Facebook-Seite „Tierfreunde gegen die Antifa“. Er gehörte zuletzt zum Umfeld von Pierre B.

Ich bin froh, dass es bei mir jetzt ruhiger geworden ist. Ich habe auch das Gefühl, dass die Polizei Braunschweig etwas wachsamer und sensibler im Umgang mit Betroffenen rechter Bedrohungen geworden ist. Allerdings haben die Neonazis ja nicht aufgehört mit ihren Einschüchterungsversuchen, sondern nach meinem Rücktritt als Sprecher des Bündnis gegen Rechts ihren Fokus weg von mir auf andere dort Engagierte gerichtet. Braunschweig hat weiter ein Problem mit dem aggressiven und provokanten Auftritten dieser kleinen Gruppe von Neonazis. Da ist nicht nur die Stadtgesellschaft gefragt, sondern auch konsequentes Handeln der Behörden und der Justiz. Aber daran mangelt es offensichtlich noch allzu oft!

Eine Chronologie der rechten Drohungen und Aktionen gegen mich mit Ausgang der Ermittlungs- und Strafverfahren habe ich hier zusammengestellt: Unvollständige Chronologie der rechten Aktionen gegen mich und meine Familie

Hier gibt es noch eine Pressemitteilung der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus und der Betroffenenberatung Niedersachsen zur Einstellung des Strafverfahren: Ausbleibende strafrechtliche Konsequenzen für die extreme Rechte in Braunschweig

Die Kosten für meine rechtsanwaltliche Vertretung in der Nebenklage des nun durch das Amtsgericht eingestellten Verfahren muß ich nun auch selbst tragen. Wer mich und meine Arbeit unterstützen will, hier geht es zu den Spendenmöglichkeiten. Spenden, die mit dem Betreff „Anwaltskosten Tür“ gekennzeichnet sind, werde ich ausschließlich für die Anwaltskosten verwenden. Sollte mehr Geld als benötigt eingehen, spende ich es an den Opferhilfefonds für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt.

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